Als ich das erste Kapitel von Mona Hesss neuer Romanveröffentlichung durchblätterte, merkte ich schnell: Das ist kein weiteres Buch, das leise in eine schon bekannte literarische Nische rutscht. Es ist laut, fordernd und zugleich höchst präzise in seiner Beobachtungsgabe. Warum dieses Buch die Literaturszene der Schweiz aufmischt, frage ich mich seit der Lektüre immer wieder – und möchte in diesem Text meine Antworten, Fragen und Eindrücke teilen.
Worum es geht – und warum das relevant ist
Ohne zu sehr zu spoilern: Der Roman verknüpft persönliche Familiengeschichte mit gesellschaftlichen Spannungsfeldern wie Migration, Klimawandel und der Frage nach regionaler Identität. Das Besondere ist weniger das Thema an sich als die Art, wie Hess Sprache und Struktur einsetzt: Episodisch, collageartig, mit abrupten Zeitsprüngen und eingeschobenen Dokumenten, die Leserinnen und Leser zwingen, aktiv zu werden.
Viele fragen mich: Ist das nicht schon alles erzählt worden? Meine Antwort: Nein. Hess nimmt vertraute Themen und übersetzt sie in eine Form, die Erwartungen unterläuft – nicht aus Effekthascherei, sondern um neue Perspektiven zu eröffnen. Gerade in der Schweiz, wo literarische Identität oft an Dialekt, Heimatbilder oder an ein bestimmtes Erzähltempo gekoppelt wird, wirkt diese Form irritierend und befreiend zugleich.
Stilistische Brüche als politisches Statement
Mich interessiert besonders, wie Hess Brüche in der Erzählstruktur als Mittel politischer Aussage nutzt. In einem Text, der sich mit Spannungen wie Zugehörigkeit und Ausschluss befasst, wäre eine geschmeidige, durchgängige Erzählweise paradox. Die fragmentierte Form spiegelt die Zerrissenheit der Figuren und ihrer Lebenswelten wider.
Wenn ich in Rezensionen oder Leserkommentaren beobachte, wie unterschiedlich diese formalen Entscheidungen aufgenommen werden, wird klar: Das Buch provoziert Debatten darüber, was "gute" Literatur sein soll. Einige feiern die Experimentierfreude, andere kritisieren vermeintliche Unnachgiebigkeit. Beides zeigt, dass der Roman etwas anstößt – und das ist selten ein rein literarischer Effekt; es ist auch ein kultureller.
Die Rolle der Sprache: Hochdeutsch, Dialekt, Mehrsprachigkeit
Ein weiteres Element, das in Gesprächen über das Buch oft auftaucht, ist Hess’ Umgang mit Sprache. Sie mischt hochdeutsche Passagen mit fragmentarischen Dialektspuren und Einschüben in anderen Sprachen. Für die Schweizer Literaturlandschaft, die sich zumeist entlang sprachlicher Grenzen organisiert, ist das irritierend und erfrischend zugleich.
Ich denke dabei an die Leserfahrung: Wenn ein Satz plötzlich in einer anderen idiomatischen Färbung auftaucht, rückt die Stimme des Erzählers, die Herkunft einer Figur oder der Kontext eines Ereignisses in den Vordergrund. Diese Verschiebungen zwingen zum genauen Lesen – und eröffnen gleichzeitig ein inklusiveres Bild von Schweizer Identität, das nicht mehr monolithisch ist.
Was die Szene konkret verändert
Konkrete Auswirkungen sehe ich auf mehreren Ebenen:
Kontroverse und Diskussion
Natürlich bleibt nicht alles unkritisch. Einige Stimmen bemängeln, der Roman sei zu dicht, zu hermetisch, eine Art Inner-Circle-Literatur für gut informierte Leserinnen. Andere sehen in der sprachlichen Radikalität eine Gefahr, weil dadurch bestimmte Leserschichten ausgeschlossen werden könnten.
Mich reizt in dieser Debatte, dass sie nicht nur ästhetisch geführt wird, sondern auch politische Fragen berührt: Wer hat Zugang zu kulturellem Kapital? Welche Medien und Buchhandlungen (ich denke an unabhängige Buchläden wie Orell Füssli, aber auch an lokalere Offspaces) werden zum Ort für solche Debatten? Und wie verändert sich die Rolle der Literaturkritik, wenn Texte zunehmend hybride Formate nutzen?
Ein Blick auf Leserinnen und Leser
Ich habe nach Lesungen mit Lesenden gesprochen: Viele schätzen die direkte, fast intime Verbindung, die beim Teilen von Fragmenten entsteht. Andere fühlen sich herausgefordert, die Lektüre als Arbeit zu begreifen. Ein Satz einer Leserin blieb mir im Ohr: "Dieses Buch verlangt, dass ich meine Komfortzone verlasse – und das habe ich gebraucht." Solche Reaktionen zeigen, dass Literatur wieder stärker als Beziehungsgenerator fungiert: Sie bringt Menschen unterschiedlicher sozialer und politischer Hintergründe ins Gespräch.
Warum das für die Schweizer Kulturlandschaft wichtig ist
In einem Land, das stark föderal organisiert ist und wo kulturelle Förderentscheidungen oft auf kantonaler Ebene getroffen werden, ist ein gemeinsamer Diskurs über kulturelle Identität selten. Hess’ Buch schafft einen öffentlichen Raum, in dem Fragen der Zugehörigkeit, Sprache und Zukunftsangst aufeinandertreffen – und das auf eine Weise, die Debatten anstößt statt sie zu zementieren.
Für mich ist das kein rein literarisches Phänomen: Es ist Teil einer kulturellen Verschiebung, in der Kunstproduktion zunehmend als Verhandlungsort für gesellschaftliche Zukunftsentwürfe verstanden wird. Hinweise darauf sehe ich auch in anderen Feldern – in Ausstellungen, die lokale Narrative neu verhandeln, oder in Theaterproduktionen, die partizipative Formate wählen. Hess steht somit nicht isoliert, sondern als Knotenpunkt in einem größeren Netz kultureller Veränderungen.
Was Leserinnen jetzt tun können
Wenn Sie neugierig sind, empfehle ich:
| Medium | Warum nützlich |
| Lesung | Autorinnen-Stimme erleben, Kontextfragen klären |
| Bookclub | Text gemeinschaftlich interpretieren, Multiple Perspektiven |
| Rezensionen | Einordnungen und Kritiken als Diskussionsgrundlage |
Ich werde weiter verfolgen, wie die Diskussionen um den Roman verlaufen – besonders in regionalen Feuilletons und auf sozialen Plattformen, wo die Reaktionen oft am ehrlichsten sind. Eines steht für mich fest: Texte, die provozieren, polarisieren und gleichzeitig Räume für Austausch schaffen, sind wichtig, gerade in einer Zeit, in der kulturelle Zugehörigkeit immer wieder neu ausgehandelt werden muss.