Partizipation ist in der zeitgenössischen Kunst längst kein bloßes Modewort mehr – sie ist ein Anspruch, der Ausstellenden und Publikum gleichermaßen neue Rollen zuweist. In meiner Arbeit als Kulturjournalistin und Besucherinnenbegleiterin frage ich mich oft: Welche Ausstellungsformate ermöglichen echte Partizipation, und wie funktionieren sie praktisch? Ich will hier einige Modelle vorstellen, meine Erfahrungen teilen und Hinweise geben, worauf Museen, Projektteams und Besucherinnen achten sollten, damit Partizipation nicht zur symbolischen Geste verkommt.
Interaktive Medieninstallationen: Wenn Technik Teil der Gemeinschaft wird
Digitale Medieninstallationen gehören zu den bekanntesten Formen partizipativer Ausstellungen. Sie laden das Publikum ein, durch Berührung, Bewegung oder Dateneingabe die Arbeit zu beeinflussen. Wichtig ist dabei die Gestaltung: Eine interaktive Arbeit wird nur dann partizipativ, wenn die Interaktion mehr ist als ein Gimmick.
Ich habe zum Beispiel eine Ausstellung erlebt, in der Besucherinnen mittels Sensoren Klänge und Lichtfarben verändern konnten. Die Installation reagierte nicht nur individuell, sondern akkumulierte Eingaben und schuf so ein gemeinsames Ergebnis – ein echtes kollektives Erlebnis. Tools wie Arduino, TouchDesigner oder Unity kommen hier oft zum Einsatz. Institutionen wie das Zentrum Paul Klee oder kleinere Off-Räume kombinieren solche Technologien zunehmend mit kuratorischer Anleitung, so dass die Besucherinnen verstehen, wie ihre Aktionen in das Gesamtgefüge eingreifen.
Partizipative Skulpturen und Objektkunst: Handeln statt Beobachten
Physische Beteiligung kann sehr niedrigschwellig sein: Ein Objekt darf bewegt, ergänzt oder bearbeitet werden. Entscheidend ist, dass die Eingaben sichtbar bleiben und das Werk dauerhaft verändert wird. In einem Projekt, das ich besucht habe, konnten Menschen Tonobjekte formen, die dann in einer wachsenden Skulptur integriert wurden. So wurde die Ausstellung selbst zum Gemeinschaftswerk.
Solche Formate funktionieren gut in Ausstellungen mit längerer Laufzeit, da sie Zeit brauchen, um sich zu entwickeln. Museen sollten dabei Materialressourcen, Hygiene und die Sicherheit der Besucherinnen bedenken – ein gut durchdachtes Materialkonzept und klare Anleitungen sind zentral.
Community-curated Exhibitions: Publikum als Kuratorinnen
Ein besonders kraftvolles Format ist die Mitkuratierung. Hier wählen Gruppen aus dem Publikum, lokale Initiativen oder eingeladenen Communities Werke aus, strukturieren die Ausstellung und schreiben Texte. Das kann in Form von open calls, Workshops oder mehrmonatigen Co-Creation-Prozessen geschehen.
Ich habe erlebt, wie ein Stadtteilmuseum mit Bewohnerinnen zusammenarbeitete: Die Community wählte Fotografien und Objekte aus dem eigenen Haushalt, ergänzte sie mit Erzählungen und gestaltete einen Rundgang. Das Ergebnis war nicht nur inklusiver, sondern brachte auch neue, lokale Perspektiven in die Institution. Solche Prozesse erfordern Transparenz: Wer entscheidet was, welche Ressourcen stehen zur Verfügung, wie wird Honorierung geregelt?
Partizipative Vermittlungsformate: Bildung als Beteiligung
Vermittlung kann Partizipation erzeugen, wenn Besucherinnen aktiv mitdenken, mitgestalten und weiterarbeiten. Workshop-Serien, begleitende Programme und digitale Lernspiele sind hier wirksam. Besonders erfolgreich sind Formate, die einen konkreten Output liefern – etwa eine kleine Publikation, ein Podcast oder ein performativer Beitrag, der am Ende der Ausstellung präsentiert wird.
Ein Beispiel: In einem Literatur- und Kunstprojekt sammelten Jugendliche Texte, die dann als Audioinstallation in der Ausstellung zu hören waren. Die jungen Beteiligten waren sichtbar in die Ausstellung eingebunden und erlebten so ihre Texte als eigenständige künstlerische Beiträge. Partizipation wurde hier zur Bildungserfahrung.
Open Space und temporäre Takeovers: Räume neu denken
Räume offenzuhalten – physisch und kuratorisch – ist eine radikale Form der Beteiligung. Einige Galerien und Off-Räume stellen Flächen zur Verfügung, die temporär von Communities „getakert“ werden: Interventionen, Performances, Diskussionen und kleine Ausstellungen entstehen vor Ort. Der Vorteil: Die Kontrolle wird geteilt, die Dynamik bleibt hoch.
Diese Formate fordern von Institutionen die Bereitschaft, Hierarchien abzugeben. Sie profitieren von klaren Regeln (Zeitfenster, technische Rahmenbedingungen, Haftungsfragen) und einer Moderation, die Konflikte verhindert und Zugang wahrt.
Digitale Partizipation: Chancen und Fallstricke
Online-Partizipation – etwa durch kollaborative Plattformen, Social-Media-Projekte oder virtuelle Ausstellungsräume – erweitert die Reichweite. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell digitale Formate entstehen können. Plattformen wie Instagram, Mozilla Hubs oder eigenentwickelte Web-Apps ermöglichen, dass Menschen Beiträge hochladen, kommentieren und Kuratierungen mitgestalten.
Doch digitale Partizipation ist nicht automatisch inklusiv: Zugang zu Geräten, Datenschutz und Moderation sind kritische Punkte. Wenn Museen Crowd-Sourcing einsetzen, müssen sie Regeln zur Nutzung von Inhalten, Urheberrechten und persönlicher Daten transparent kommunizieren.
Partizipation messen: Wie wissen wir, dass sie echt ist?
Die Glaubwürdigkeit partizipativer Formate lässt sich an einigen Kriterien festmachen, die ich bei meinen Besuchen immer wieder prüfe:
- Transparenz: Sind Ziele, Rollen und Ressourcen offen kommuniziert?
- Langfristigkeit: Dient die Aktion einer nachhaltigen Einbindung oder bleibt sie einmalig?
- Einfluss: Haben Teilnehmende sichtbaren Einfluss auf Inhalt und Ergebnis?
- Honorierung: Werden Beiträge anerkannt – finanziell, namentlich, durch Zugänge?
- Inklusion: Werden unterschiedliche Zugänge und Bedürfnisse berücksichtigt?
Wenn diese Punkte erfüllt sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Partizipation mehr ist als eine kommunikative Schicht über konventionellen Ausstellungsbetrieb.
Praktische Tipps für Kunsthäuser und Kollektive
Aus meiner Sicht helfen einige pragmatische Regeln, damit Partizipation funktioniert:
- Beginne mit einem klaren Rahmen, aber lasse Freiraum für Überraschungen.
- Schaffe niedrige Einstiegshürden (vermeide Fachjargon, biete Assistenz an).
- Dokumentiere Prozesse transparent – nicht nur das Ergebnis.
- Honorare und Anerkennung regeln: Künstlerinnen und Community-Mitglieder verdienen faire Bedingungen.
- Nutze hybride Formate: Kombiniere analoge und digitale Beteiligungsmöglichkeiten.
Partizipation ist kein Selbstzweck, sondern eine Praxis, die Zeit, Respekt und Struktur braucht. In meinen besten Erfahrungen entstehen daraus nicht nur neue Werke, sondern auch Netzwerke, die Kunst und Publikum nachhaltiger verbinden. Wer partizipative Formate plant, sollte also bereit sein, Macht zu teilen – und genau das kann einen Ausstellungsraum lebendig machen.