Als Kulturjournalistin frage ich mich immer wieder: Welche Bühnenformate ermöglichen wirklich inklusive und barrierefreie Begegnungen vor Ort? In meiner Arbeit für Secondofestival habe ich verschiedene Spielorte besucht — vom städtischen Theater bis zu Off-Räumen und Freiluftfestivals — und dabei nach Formaten gesucht, die nicht nur formal zugänglich sind, sondern auch Begegnungen ermöglichen, bei denen Menschen mit unterschiedlichen Vorerfahrungen und Bedürfnissen Teilhabe erleben können.
Warum Bühnenformat mehr ist als Architektur
Barrierefreiheit wird oft auf bauliche Anpassungen reduziert: Rampen, Aufzüge, rollstuhlgerechte Toiletten. Das ist wichtig, doch ein inklusiver Spielort beginnt viel früher — bei der Auswahl des Formats, der Dramaturgie und der Art, wie Publikum, Künstler*innen und Technik miteinander interagieren. Ich habe erlebt, wie ein Stück in einem Black Box-Theater plötzlich für Menschen mit sensorischen Bedürfnissen angenehmer wurde, weil die Inszenierung auf klare, ruhige Lichtwechsel setzte. Ebenso habe ich bei einem Open-Air-Konzert gesehen, dass erhöhte Zuschauerbereiche zwar guten Sichtkontakt bieten, aber ungeeignete Bodenbeläge Mobilitäts-eingeschränkte Besucher*innen ausschließen können.
Formate, die sich besonders gut eignen
- Black Box / flexible Probenräume: Diese Räume sind ideal für niedrigschwelliges, experimentelles Theater. Die flexible Bestuhlung erlaubt individuelle Zugänge, Gangbreiten und Plätze für Begleitpersonen. Dramaturgisch können hier Performances sensibel dosiert werden — kürzere Szenen, Pausen zum Verarbeiten und direkte Ansprachen an das Publikum.
- In-the-round / Arena-Formate: Wenn die Bühne mittendrin platziert ist, entsteht Nähe. Das funktioniert gut, wenn Zugangsrampen und breite Gänge berücksichtigt sind. Ich habe erlebt, dass Personen mit Hörverlust in diesem Setting oft besser folgen können, weil mehrere Blickwinkel vorhanden sind und Gebärdensprachdolmetscher*innen an geeigneten Positionen sichtbar sein können.
- Promenadentheater / partizipative Formate: Formate, bei denen das Publikum sich mitbewegt, können inklusiv sein — vorausgesetzt, die Wege sind barrierefrei. Bei einem Stück in einem ehemaligen Fabrikgelände fand ich es großartig, dass die Regie kleine, ruhige Stationen einbaute, wo Menschen sich setzten oder aussteigen konnten. Das reduziert Stress für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder sensorischen Überlastungen.
- Freiluft- und Festival-Settings mit klaren Zonen: Open-Air-Formate bieten oft laute, lebendige Räume. Damit sie inklusiv sind, braucht es definierte, ruhige Zonen, gut sichtbare Informationen und Zugänge mit festen, ebenen Wegen. Bei Festivals helfen Beschilderung, Info-Stände mit geschultem Personal und Quiet Rooms enorm.
- Hybrid-Performances (Live + Stream): Durch die Kombination vor Ort und digital lassen sich Barrieren für Menschen reduzieren, die nicht physisch kommen können. Wichtig ist hochwertige Technik: gute Kameraperspektiven, Untertitel, Gebärdensprachintegration und interaktive Elemente, damit Online-Zuschauer*innen nicht nur passiv konsumieren.
Technische Hilfsmittel und Services vor Ort
Technik kann Wunder wirken, aber sie muss durchdacht eingesetzt werden. Ich habe in verschiedenen Häusern Loop-Systeme gesehen, die Hörgeräteträger*innen das Hörerlebnis stark verbesserten. Ebenso hilfreich sind:
- Audio-Deskription (Live oder per App) für Menschen mit Sehbehinderung.
- Live-Untertitelung auf Monitoren oder via Mobile-App (z. B. Stage Text, Ai-Mediated Captioning).
- Gebärdensprachdolmetschende sichtbar platziert. Man sieht oft, dass gut positionierte Dolmetscher*innen mehr Zuschauer*innen erreichen.
- Multisensorische Ergänzungen (z. B. Vibrations-Module, taktile Programme oder Duft-Elemente), sinnvoll vor allem in kleineren Formaten.
Programmatische Entscheidungen, die Inklusion fördern
Technik und Raum helfen nur, wenn das Programm inklusiv gedacht ist. Ich empfehle Veranstalter*innen:
- Formate mit klaren Längen: Kürzere Aufführungen oder modulare Stücke mit Pausen eignen sich besser für Menschen mit Konzentrations- oder Stress-Schwierigkeiten.
- Relaxed/Autism-Friendly-Vorstellungen: reduzierte Lautstärke, gedämpfte Lichteffekte, flexible Ein- und Ausgänge. Solche Vorstellungen sind nicht nur für autistische Menschen wertvoll, sondern für alle, die ein niedrigschwelliges Kulturangebot suchen.
- Partizipation in der Vorbereitung: Menschen mit Behinderungen in Planungsteams einzubeziehen erhöht die Relevanz von Maßnahmen enorm. Ich habe bei einem Projekt in Zürich erlebt, wie viel praktischer Lösungen werden, wenn Betroffene von Anfang an mitreden.
- Barrierefreie Kommunikation: klare Informationen auf Websites (z. B. via https://www.secondofestival.ch als Vorbild für transparente Veranstaltungsdaten), Anfahrtsbeschreibungen, Hinweise zu Parkplätzen, Begleitplätzen, Toiletten und unterstützenden Angeboten.
Konkrete Beispiele aus der Praxis
Bei einer Aufführung in einem kleinen Privattheater setzte die Produktion auf taktile Programme: Ein kleiner Haptik-Booklet zum Stück, das Materialien und Oberflächenbeschreibungen enthielt, wurde vorab ausgegeben. Für sehbehinderte Besucher*innen war das eine echte Bereicherung. Ein anderes Mal besuchte ich eine Open-Air-Performance, bei der ein Bereich mit Dämpfung und Sitzmöglichkeiten für Menschen mit sensorischer Überlastung reserviert war — ein simpleres, aber effektives Mittel.
| Format | Stärken für Inklusion | Herausforderungen |
|---|---|---|
| Black Box | Flexibilität bei Sitzordnung; einfache Adaption von Licht/Sound | begrenzte Kapazität; manchmal schlechter Zugang |
| In-the-round | gute Sichtwinkel; Nähe erzeugt Barriereabbau | Platzbedarf; erhöhte Anforderungen an Orientierung |
| Promenade | partizipativ; multiple Zugänge | Wegbeschaffenheit; Wetterabhängigkeit |
| Hybrid | grössere Reichweite; digitale Zusatzangebote | Technikintensiv; digitale Kluft |
Praktische Tipps für Veranstalter*innen
- Informiert euch vorab: Leistet Barriere-Checks eurer Spielstätten (Architekten, Techniker*innen, Nutzer*innen gemeinsam).
- Kommuniziert klar und sichtbar auf eurer Website und in Ticketshops: Sitzplatzpläne, Informationen zu Serviceleistungen, Kontaktmöglichkeit für individuelle Absprachen.
- Schult das Personal: Empathie, Umgang mit Assistenzhunden, Kommunikation mit Hör- oder Sehbehinderten — kleine Trainings wirken gross.
- Testet Technik: Captioning-Services, Loop-Anlagen, Audiodeskriptionsgeräte sollten vor jeder Vorstellung überprüft werden.
- Plant Budget ein: Inklusion kostet — aber sie lohnt sich, auch ökonomisch durch neue Publikumsschichten.
Inklusion auf der Bühne ist ein fortlaufender Prozess. Welches Format am besten passt, hängt von vielen Faktoren ab: Zielgruppe, Inhalt, Ort und Ressourcen. Was ich aus meiner Recherche und meinen Besuchen mitnehme: Es geht weniger um ein einziges „richtiges“ Format als um die Haltung—eine feine Mischung aus durchdachter Raumgestaltung, technischer Unterstützung, inklusiver Dramaturgie und offener Kommunikation schafft Zugänge, die wirklich etwas verändern.